Wenn
ich überhaupt noch Zeitung lese, dann lauten die aktuellen Überschriften wie
folgt:
- Katerstimmung
- Deutschland
kommt an seine Grenzen
-
Im Sommer waren die Flüchtlinge noch dankbar
- Das
Sommermärchen ist vorbei
Herr
de Maiziere beklagte mangelnde Dankbarkeit und eine übersteigerte
Anspruchshaltung. Herr Gauck warnt vor Fundamentalisten. Natürlich finden sich
in den genannten Texten, Ansprachen und Artikeln auch andere und gut nachvollziehbare
Argumente, aber die sind ja oft nicht aufreizend genug, um zitiert zu werden.
Diesen
„ob das mal gut geht Ton“- finde ich irgendwie demotivierend. Ich empfinde ihn
irgendwie auch als Schlag ins Gesicht für die vielen Helfer die nun seit Wochen
und Monaten das leisten, was der Staat nicht auf die Reihe bringt. Ich sehe
tagtäglich die Betreuer und Betreuerinnen in „meinem“ Kinderhaus, die Dinge
tun, die weit über ihren eigentlichen Job hinausgehen. Ich finde, dass die
Herren in den schicken Anzügen, sich hier mal die „berühmte Scheibe abschneiden“
können. Täglich wird sich neu justiert, gelegentlich neu gestartet, um unter der
Beachtung der Bedürfnisse der Jugendlichen diesen bei der Integration zu helfen.
Integration
geschieht nicht automatisch beim Grenzübertritt. Es kommen auch keine Roboter
ins Land sondern intelligente Menschen mit einer Persönlichkeit und einer
Geschichte – häufig einer dramatischen Geschichte.
Integration
ist ein Weg, ein ziemlich holpriger und langer- nicht nur wenn man gerade in
der Pubertät ist, 1000e km allein zurückgelegt hat und seit drei Wochen keinen
Kontakt zu „Mama und Papa“ hatte, weil der Heimatort gerade bombardiert worden
ist.
Integration kann aber gelingen, wenn beide Seiten offen sind, neugierig
und respektvoll.
Und ja, ich finde, dass wir hier in Deutschland erstmal ein
bisschen was von dem oben gesagten investieren müssen, bevor ein ähnliches
Level vom Gegenüber erwarten können. Es ist letztlich nur die Gnade unseres Geburtsortes – um es mit den Worten von Karim El-Gawhary zu sagen-, die uns auf die Seite der Helfer bringt und nicht auf die Seite der
Hilfsbedürftigen. Wir können unsere Muttersprache.
Wir kennen uns mit den örtlichen Gegebenheiten aus und kennen den deutschen
Alltag, den wir schätzen und der uns auch ein bisschen verrückt macht. Wir
wissen, dass wir von den Polizeikräften keine Gewalt erfahren, dass Gerichte „Recht
sprechen“, auch wenn es uns manchmal nicht gefällt.
Manchmal,
wenn ich etwas beantragen möchte, privat oder beruflich, oder wenn ich wegen der
Regelung bestimmter kleiner Formalitäten mit großer Wirkung an einem Meeting teilnehmen
muss, fühle ich mich wie Asterix und Obelix auf der Jagd nach Passierschein A 38. Wie fühlen sich die Menschen, die
ganz frisch zu uns ins Land kommen dann erst? "AbendBROT"- "Mülltrennung"- "Formulare".... Hilfe!
Meine
Erfahrung: Reden! Reden hilft! Nachfragen: wieso ist das so und so? Wieso reagiert der jetzt so? Warum machen die das so und so? Woher soll
man denn wissen, dass in bestimmten Ländern Knäckebrot als Henkersmahlzeit
genommen wird. Wenn man das weiß, dann sind die Beschwerden übers Essen auch
nachvollziehbar. Wenn man weiß, dass es in den Herkunftsländern gar nicht unser
„AbendBROT“ gibt, dann kann man das Gemotze der Jungs darüber nachvollziehen
und erklären, dass das hier eben anders ist und irgendwie eine Mitte finden.
Reden,
reden, reden- diskutieren, klären, reden…und manchmal auch sagen: das ist jetzt
einfach so- PUNKT! Es gibt nicht viel Diskussionsfreiraum zum Thema „Pünktlichkeit
in der Schule“, denn zehn andere hätten gern den Schulplatz. Beim Thema „Essen“
und „Mülltrennung“ bin ich da schon flexibler. Wer redet, dem kann geholfen werden!
Na
ja, und so als Privatmensch wünsche ich mir viel mehr Klarheit und Transparenz
gerade so auf politischer und lokaler Ebene. Ich finde es wichtig, dass die Menschen informiert
werden, über die Dinge, die ablaufen. Menschen sollten wissen, ob, wann und wie
in ihre Gemeinden Flüchtlinge kommen. Wie die Flüchtlingskinder Kindergartenplätze und Schulplätze kriegen? Menschen sollten wissen, wie die Hilfe organisiert
wird und wie sie sich einbringen können. Fehlende Transparenz führt zu Unmut in
der Bevölkerung und zu Ängsten.
Zu Unmut führt es auch, wenn die ehrenamtlichen Helfer auf „Halde“
gelegt werden. Nehmen wir mal das Beispiel Vormundschaft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge: Natürlich ist eine Vormundschaft für einen minderjährigen
unbegleiteten Flüchtling eine Herausforderung und eine komplexe Aufgabe, aber auch
kein Hexenwerk, das ein abgeschlossenen Hochschulstudium, drei akademische
Grade und 10jahre Auslanderfahrung nebst fünf eigener großgezogener Kinder
erfordern. Es ist machbar, wenn die ehrenamtlichen Vormünder Unterstützung und Hilfen erhalten.
Manchmal
fehlt an den wichtigen behördlichen Stellen, was ich an anderen Stellen so oft
erlebe. Pragmatismus! Pragmatismus hat übrigens nichts mit rechtlich nicht korrektem Handeln zu
tun. Das deutsche Recht bietet ausreichend Raum um – „Einfach mal zu machen“,
ohne 27 Anträge, drei Arbeitskreise und fünf Bescheinigungen. Eines der besten
Beispiele war eine Familienzusammenführung, die ich mit Helfern vor Ort
organisiert habe- unkonventionell, pragmatisch und schnell. Abchecken, ob es
die passenden Eltern zu den vorhandenen Kindern sind. Hinfahren an die
Containertür klopfen und freuen! Da hatte ich einfach Lust „überengagiert“ zu
sein und so gar keine Lust die „Dynamik“ herauszunehmen, wie es die Ämter gern
gehabt hätten. Ich fand es auch so gar nicht verwerflich, dass sich die Eltern
noch nicht in die Spur gemacht hatten, da sie einfach keinerlei
Sprachkenntnisse und Ansprechpartner hatten. Die Kinder schon. Sie hatten das
Kinderhaus und mich!
Nun
genug der Schwafelei. Bei mir ist von Katerstimmung keine Spur, aber ich glaube
auch, dass nun eine neue Phase angebrochen ist. Es geht ums Weitermachen, um
die nächste Stufe der Entwicklung so zu sagen. Es geht auch ums Aushalten und Halten!
Es geht auch um Verständis- wo bei ich wirklich kein Freund von "Räucherstäbchenduft geschwängertem ins Gefühl atmen" bin. Manchmal muss die Bürokratie zurücktreten, weil die Lage in Afghanistan – in Kunduz-
eskaliert. Ich bekomme es zwar mit und bin auch bemüht Trost zu spenden, aber
die Hauptaufgabe liegt bei den Betreuern, die im Arm halten, Wut aushalten und
trösten. Diese Aufgaben sind dann wichtiger als die wichtigste Mail oder Infos
die normalerweise fließen würden. Es ist nichts nur schwarz und nichts nur
weiß! Es ist immer irgendetwas dazwischen und eine Frage der Abwägung.